Der Charme der Abgeschiedenheit

Schweizer Familie, Dez 2017

Wer den Weg zum «Heimeli» im Schanfigger Seitental Sapün unter die Füsse nimmt, wird belohnt: Mit dem Zauber der Winterlandschaft und dem heimeligen Gasthaus mit seiner formidablen Küche.

Text & Fotos: Caroline Fink

Es ist ein kalter Dezembertag, als ich durch den tief verschneiten Wald des Sapün gehe. Jenes Schanfigger Seitentals, das mit dem ersten Schnee in einen Winterschlaf fällt. Still ist es. Nur der Sapüner Bach sprudelt am Wegrand zwischen Eisschollen talwärts. In diesem Wald könnte St. Nikolaus wohnen, denke ich mir. Hier, zwischen alten Tannen, in einem Holzhaus, vor dem eine Laterne brennt. Wobei ich an diesem Tag nicht den Samichlaus, sondern ein anderes Holzhaus besuchen will: das Berggasthaus Heimeli weit hinten im Tal.

Eine gute Stunde später trete ich aus dem Wald heraus, vor mir das Hochtal Sapün, still und weiss. Kleine Ställe und Maiensässe liegen wie dunkle Sprenkel in den Hängen, und im Talboden schmiegen sich die Häuser eines Weilers aneinander, der auf der Karte einfach «Dörfji» heisst. Im Walserdorf, in dem Kinder einst das ganze Jahr über zur Schule gingen und der Pöstler im alten «Post Huus» Briefe sortierte, ist es heute still. Die Fensterläden der Häuser sind geschlossen, und die einzige Spur im Schnee ist jene eines Hasen, der von Haus zu Haus hoppelte.

 

Die Kälte vertreiben

Ich bleibe kurz stehen, gehe dann aber schnellen Schrittes weiter, um die Kälte aus meiner Jacke zu vertreiben. Immer dem Winterwanderweg entlang, vorbei an kahlen Lärchen und schlafenden Ställen, bis hinter einer Wegkehre eine flatternde Schweizer Fahne auftaucht, daneben ein Holzhaus, wie von Kinderhand gezeichnet: Fensterläden, Sprossenfenster und ein Kamin, aus dem Rauch steigt. Es ist das «Heimeli». Und bald sitze ich in dessen Stube neben dem Kachelofen, wärme die Hände an einer Tasse Tee, während sich draussen schon die Dämmerung über das Sapün senkt.

 

Verliebt ins Hexenhaus

Derweil steht in der Küche des «Heimeli» Markus Koch, 57, und richtet für mich und weitere Gäste einen Randencarpaccio an, schiebt Hirschlasagne in den Ofen und dekoriert Tellerränder mit Heublumen. Vor gut sechs Jahren sah er das «Heimeli» zum ersten Mal und verliebte sich in das Hexenhaus. «Die Natur hier, die Ruhe, der Charme dieses Hauses – hier wollte ich bleiben», sagt er, der früher in Fünfsternehotels in Zürich kochte und internationale Preise als Zuckerbäcker gewann.

Seither tüftelt er zuhinterst im Sapün an seiner ganz eigenen Bergküche. Ob Wildschweinpfeffer, Bergkräuterknödel oder Haferflockenguetsli – der Bündner steht mit Herz und Seele in der Küche. Und beim Nachtessen scheint mir, als würde mit jedem Teller eine Portion Herzenswärme zu uns Gästen getragen. Sodass mir nach dem Essen so wohlig warm ist, dass ich noch einmal in die Daunenjacke schlüpfe, die Kappe aufsetze und in die Nacht hinaustrete, um die Sterne zu betrachten.

 Ich gehe ein paar Schritte dem Talende entgegen, betrachte den kristallklar glitzernden Sternenhimmel und die Gipfel, die weiss schimmernd in die Nacht ragen. Es ist so still und eiskalt, als wäre die Welt zu Glas geworden. Nur eines verspricht Wärme in dieser Nacht: die golden leuchtenden Fenster des «Heimeli». So gehe ich bald zurück und treffe vor der Tür Markus Koch. «Das wird eine eisige Nacht», sagt er und zündet die Kerze einer Laterne an.

Ein paar der Gäste steigen derweil auf Holzschlitten, in dicke Jacken gepackt. Sie werden im Schein ihrer Stirnlampen noch bis ins Tal schlitteln. Ich aber werde über die knarrende Treppe in den ersten Stock steigen, durch die Zimmertür gehen, über der eine gehäkelte Bordüre «Schlafe wohl» sagt, und bald unter einer Daunendecke in Träume gleiten. Geborgen in der Wärme des «Heimeli», während der Frost Eisblumen an die Fenster meines Zimmers zeichnen wird.