Kleine Tour ganz gross

Beobachter, Feb 2017

Die Tour auf das Mettener Butzli im Kanton Uri ist kurz. Doch sie bietet alles Schöne, was man sich wünschen kann.

 Text & Fotos: Caroline Fink

 Alex Gisler steckt einen Jeton in den Kasten. Kurz darauf schrillt das Wandtelefon. Ich fahre zusammen. Soll ich den Anruf annehmen? Nein! Einsteigen soll ich, sagt der Bergführer und schmunzelt. Wir hieven die Tourenskier auf die grüne Gondel und setzen uns geduckt hinein. Das Gefährt erinnert mehr an einen Heutransporter als an eine Seilbahn.

Mit einem Ruck rattern wir los. Unter uns ziehen verschneite Ställe und Tannenwipfel vorbei. Gemächlich, fast wie in Zeitlupe. Das passt zu meinem Vorhaben. Ich will hier im Schächental eine Skitour unternehmen, die vor allem eins bietet: Zeit, die Berge, die Aussicht und die Sonne zu geniessen.

Bei der Mittelstation nennen wir am Schalter unser Tagesziel Mettener Butzli. Die ältere Dame blickt uns ernst an. Da müssten wir uns aber beeilen, sagt sie, das Butzli sei ja «cheibe weit weg». Dann lacht sie. Jeder hier weiss: Das Mettener Butzli bietet mit zwei Stunden Aufstieg die gemütlichste Tour im Schächental.

Wenig später blinzeln wir bei der Bergstation in eine gleissend weisse Winterwelt. Es ist still, als wären alle Geräusche von der Welt verschwunden. In aller Ruhe kleben wir die Steigfelle auf die Skier, schalten die Lawinenverschüttetensuchgeräte ein, schultern die Rucksäcke und ziehen los. Gleiten bald mit langen Schritten - ziip-zaap, ziip-zaap - an Bauernhäusern und Ställen vorbei, kreuzen Spuren von Hasen und Füchsen, tauchen ein in Wäldchen und durchqueren Lichtungen. Über uns ragen die Gipfel der Schächentaler Windgällen und des Höch Pfaffen wie riesige Schiffsbuge in den Himmel, unter uns liegt das Tal, in dessen Schoss sich die Häuser von Unterschächen aneinanderschmiegen.

 

«Offener als andere Bergler»

An diesem Wintertag scheint das Schächental am Ende der Welt zu liegen. Doch lange Zeit war es ein wichtiger Transportweg, denn zuhinterst windet sich die Strasse hoch auf den Klausenpass und hinab ins Glarnerland. So waren während Jahrhunderten Säumer im Tal anzutreffen. Dann kamen Reisende in Kutschen, später Ausflügler in Autos. Das hat bei den Einheimischen Spuren hinterlassen. «Die Schächentaler sind wie alle Urner offener als andere Bergler», sagt Bergführer Alex Gisler. «Das verdanken wir wohl den Pässen.»

Gisler ist ein Urner par excellence. Als Bub holte er in den Schulferien auf dem Urnerboden Kühe von der Weide und half beim Käsen. Seit seiner Jugend klettert der 43-Jährige auf Urner Gipfel. Doch es zieht ihn auch immer wieder in die Ferne. In Guatemala und Patagonien, in Grönland und Norwegen war er schon unterwegs. Fast ein wenig verlegen fügt er an: «Aber im Grunde haben wir im Urnerland alles, was es braucht, um in den Bergen glücklich zu sein.» In der Tat, denke ich, während ich die Bergluft in tiefen Zügen geniesse und die Reihen von Gipfeln rund um mich bestaune.

 

Hier hat man Zeit für einen Schwatz

Immer höher hinauf steigen wir, lassen die letzten Häuser und Ställe hinter uns, tauchen ein in Tannenwald und Glitzerschnee. Umso erstaunter bin ich, als plötzlich ein Skifahrer mit einem weissen Schweif aus Pulverschnee vor uns auftaucht. «He, sali Kari!», ruft Alex Gisler. Kari - weisser Bart, rote Jacke, wettergegerbtes Gesicht - bleibt stehen. Hier im Schächental hat man Zeit für einen Schwatz, über die Wärme an diesem Prachttag, den Neuschnee und den ältesten Urner: den Föhn. Kari sagt «dr Feen», der «ibers Griggeli» wirbelt.

Dann rauscht Kari talwärts, und wir sind dem Ziel schon nah. Noch ein Waldstück, ein Tälchen, ein Aufschwung, und wir stehen auf dem Mettener Butzli. Oder genauer: auf den Butzlichöpf. Jenen Kuppen, die sich wie Hochsitze aus der Hochebene der Alp Mettener Butzli erheben.

Ich drehe mich um die eigene Achse und staune: Wir scheinen mitten im Schächental zu schweben - hinter uns die wuchtigen Flanken der Windgällen, vor uns die Urner Schneeberge, in der Ferne ein dichtes Wolkenmeer, unter dem sich Altdorf verbirgt.

Wir setzen uns auf die Rucksäcke, trinken Tee aus Thermosflaschen, essen Urner Schnitzkrapfen mit Birnenfüllung, lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und beobachten, wie «dr Feen» auf der anderen Talseite weisse Schneefahnen von den Gipfeln weht. Noch lange könnten wir hier oben verweilen. Doch unter uns schleichen schon Schatten durchs Tal. So ziehen wir die Steigfelle von den Skiern und schwingen bald talwärts. Kurve um Kurve reihen wir aneinander. Fliegen über offene Hänge in Schnee so leicht wie Styropor, rauschen durch Wäldchen und über Lichtungen und gleiten wenige Minuten später wieder an Ställen und Häusern vorbei.

 

«E chli eweg» von der Welt, aber…

Fast zu schnell ist es vorbei. Wir sitzen mit glühenden Wangen in der Gaststube der «Rose», essen Nussgipfel und plaudern erneut. Diesmal mit Monika und Martin Arnold. Das Wirtepaar hat die einst geschlossene Beiz vor neun Jahren zu neuem Leben erweckt. Seither treffen sich hier Arbeiter, Einheimische, Langläufer und Skitourengeher. Unterschächen sei eben ein lebendiges Dorf geblieben, sagt Martin Arnold. Und auch wenn sie «e chli eweg» von der Welt lebten, seien sie nur eine Viertelstunde von Altdorf entfernt.

Was auch mir zugutekommt. Denn von dort fahre ich nach dem Trip in den Glitzerschnee direkt zurück in den Alltag.